Abschied vom Opfertod Jesu Christi? „Wo wir mit der Liturgie in das Pascha-Mysterium hineingenommen sind, werden uns die Worte Jesu „es ist vollbracht“ lebenswahr. Der versöhnenden Lebenshingabe des Gottessohnes ist menschlicherseits nichts hinzufügen.“

Otto Dix - Es ist vollbracht (Lithographie 1960)
Otto Dix – Es ist vollbracht (Lithographie 1960)

Abschied vom Opfertod Jesu Christi?

Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.“ So endet dem Evangelium nach Johannes zufolge das irdische Leben Jesu (19,30). Da gibt der Gottessohn sein eigenes Leben hin. Aber was soll dieses Opfer? Warum muss denn ein Unschuldiger für andere geopfert werden? Und was ist das für ein Gott, der ein bluttödliches Opfer braucht? Hinter der letzten Frage verbirgt sich freilich das Missverständnis, das Opfer solle bei dem Gott Versöhnung bewirken. Als brauche ein zorniger bzw. ehrverletzter Gott das Opfer seines Sohnes, um selbst besänftigt oder aber rehabilitiert zu werden.

Wo im Alten Testament vom Sünd- bzw. Schuldopfern die Rede ist (3Mose 4f), handelt es sich dabei nicht um menschliche Opfergaben. Vielmehr nimmt der Gott, vertreten durch den Priester, einem Menschen das Unheil seiner Sünde ab und überträgt sie auf ein Tier, das stellvertretend für seinen Eigentümer das Todesschicksal erleidet. Der Gott empfängt also nicht etwa eine menschliche Sühneleistung, sondern ermöglicht umgekehrt den Menschen heilende Sühne. Im Sühnegeschehen wird die Unheilswirkung der Sünde vom menschlichen Leben abgewendet.

Wenn im Neuen Testament der Kreuzestod Jesu zur Sprache kommt, wird dieser Tod nicht als Besänftigung eines göttlichen Zorns oder als Genugtuung für den himmlischen Vater geltend gemacht. Vielmehr steht am Anfang die göttliche Liebe, die sich des menschlichen Unheils annimmt, so wenn der Apostel Paulus schreibt: „Der Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Römer 5,8) Es ist eben nicht der Gott, der durch ein stellvertretendes Opfer mit dem Mensch versöhnt werden muss[1], als vielmehr der Mensch, der der Versöhnung mit dem dreieinigen Gott bedarf (2. Korinther 5,19-21). Die Selbsthingabe des Sohnes sucht nicht etwa den Vater, sondern die Menschen für sich einzunehmen.

Aber warum musste überhaupt ein Unschuldiger sterben? Hätte es da nicht auch andere, blutleere Möglichkeiten zur menschlichen Heilwerdung gegeben? Wer so fragt, nimmt sich selbst aus dem Heilsgeschehen heraus und versucht sich an einer Ingenieurslogik: Wie und mit welchen Mittel erreiche ich ausgehend von einem bestimmten Zustand ein gewünschtes Ergebnis? Da suchen fromme Menschen zu erklären, dass es für den Gott kein anderes Heilsmittel gab als seinen Sohn am Kreuz dahinzugegeben. Und doch können uns derartige Heilskonstruktionen in die Irre führen. Wer einen Heilsmechanismus aus- oder nachdenkt, entzieht sich dem Geschehen am Kreuz und scheint davon selbst nicht betroffen zu sein. Aber genau das ist für Christen unmöglich. Das Heilsdrama Jesu Christi – gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel – schließt uns mit Leib und Seele ein.

Wenn es um Sünde, Leben und Tod geht, sind wir nicht Ingenieure unseres eigenen Schicksals. Da gelten vielmehr die letzten Worte Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht!“ Warum das Heil ein für allemal für uns vollbracht ist, entzieht sich unserer Logik. Nur rückblickend auf das Kreuz können wir mit den Worten des auferstandenen Christus sprechen: „Musste der Gesalbte nicht solches erleiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lukas 24,26) Die Erlösten, denen in Christus die Versöhnung mit dem Gott zugesprochen ist, sagen zu Recht: Es ging nicht anders; das war für uns notwendig. Und doch bleiben Jesu Tod und Auferstehung ein göttliches Geheimnis, das Menschen nicht denkerisch ergründen können.

An Stelle eigenen Denkens tritt das liturgische Gedenken an die Selbsthingabe des Gottessohnes, wie dies Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat: „Solches tut zu meinem Gedächtnis.“ (Lukas 22,19) In der Feier des Abendmahls vollzieht sich mit den Einsetzungsworten die erinnernde Vergegenwärtigung von Jesu Heilstat in Tod und Auferstehung, der unser Glauben gilt. Und dieses bleibende Geheimnis des Glaubens wird vor der Austeilung gemeinschaftlich bekannt: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“

Wo wir mit der Liturgie in das Pascha-Mysterium hineingenommen sind, werden uns die Worte Jesu „es ist vollbracht“ lebenswahr. Der versöhnenden Lebenshingabe des Gottessohnes ist menschlicherseits nichts hinzufügen. Und damit ist dann auch in Sachen christliche Toleranz alles schon gesagt. Mit Christus gilt zu ertragen, was uns nicht gleichgültig sein kann, wie zum Beispiel fremdreligiöse Praktiken und Bauwerke hier in Deutschland. Was Christus für uns am Kreuz gewonnen hat, kann nicht durch Aktionen etwa gegen Moscheebauten geltend gemacht werden. Allein das eigene Zeugnis für ihn zählt. Und das lebt aus seiner Zusage: „Es ist vollbracht!“ Wer kann uns da überhaupt noch ängstigen: „Ist der Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Römer 8,31f)

[1] Eine solche gottbezogene Aussage findet sich z. B. schon im Konsekrationsgebet der sogenannten Klementinischen Liturgie aus dem vierten Jahrhundert: »Dich, seinen Gott und Vater, hat er [Christus] gnädig gestimmt und mit der Welt versöhnt und alle von dem auf ihnen lastenden Zorn befreit.« (Apo­stoli­sche Konstitutionen VIII 12.31)

In überarbeiteter Fassung in der Brücke – Evangelisches Gemeindeblatt für Ulm, Neu-Ulm und Umgebung, Nr. 4 (April) 2011, abgedruckt.

Hier mein Text als pdf.

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