Landesbischof Martin Haug gegen den staatlichen Einzug der Kirchensteuer: „Man macht unserer Kirche ja den Vorwurf, dass wir eben das Kirchenvolk in die Kirche hineintaufen und es dauernd zum Objekt machen.“

Landesbischof Martin Haug (1895-1983)

Das hat es im Nachkriegsdeutschland tatsächlich gegeben, ein Landesbischof, der sich deutlich gegen den staatlichen Einzug der Kirchensteuer gestellt hat – Martin Haug, der von 1948-1962 als württembergischer Landesbischof amtierte. Dankenswerterweise hat Pfarrer i.R. Helmut Sigloch (von 1959-1962 persönlicher Mitarbeiter von Haug) mit seinem Büchlein „Macht die Gemeinde stark. Landesbischof Martin Haug“ darauf aufmerksam gemacht. So sei aus zwei Stellungnahmen des Bischofs auf den Sitzungen des Evangelischen Landestages 1950 und 1954 zitiert:

Stellungnahmen des württembergischen Landesbischofs Martin Haug wider den staatlichen Einzug der Kirchensteuer

» … und das ist mir das allerwichtigste: Ich bitte um eine Entscheidung, die das bewußte, persönliche Christentum, die bewußte, persönliche und aktive Mitglied­schaft der Kirche stärkt und nicht schwächt, die die Aktivität fördert und nicht die Passivität. Der Unterschied, ob ich einen Kirchensteuer-Zettel bekomme und einen Dauerauftrag gebe oder jährlich einmal zahle — oder ob es mir abgezogen wird, ist selbstverständlich relativ. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich selbst auch nur einen Finger dazu regen muß oder ob das auch wieder aufhört. Man macht unserer Kirche ja den Vorwurf, daß wir eben das Kirchenvolk in die Kirche hineintaufen und es dauernd zum Objekt machen. Machen Sie bitte auch in finanziellen Dingen unsere Kirchenglieder je länger je mehr, was an uns liegt, zum Subjekt auf die Gefahr hin, daß vielleicht nicht wenige — ich bekomme ja viele Drohungen — wenn wir ernst machen die Kirche verlassen. Ich würde das sehr schwer nehmen und nehme es in jedem einzelnen Fall schwer. Aber ich würde das leichter nehmen, als daß wir sie auf diesem Weg allein festhalten. […] Wie kommen wir weiter auf dem Wege, auf den uns Gott gestellt hat, von der Staatskirche zur lebendigen Gemeinde? Wir sind auf diesem Wege. Wir sind noch nicht die lebendige Gemeinde und nicht die lebendige Kirche. Wenn wir uns das einbilden sollten, dann würden uns die Kirchensteuerproteste täglich daran erinnern, aber wir sind auf dem Wege und wir sollen auf diesem Weg bleiben und vorwärts gehen und nicht zurück. In diesem Sinne bitte ich, uns zu helfen in dieser Geldfrage, die nicht unsere größte Sorge ist. Es ist die Sorge, daß Gottes Reich unter uns Menschen werde«.

Auch als 1954 der staatliche Einzug der Kirchensteuer im Lohnsteuerabzugsverfahren praktisch entschieden war, hielt Martin Haug dagegen:

»Es ist im Oberkirchenrat niemand, der nicht die Volkskirche bejaht. Aber wir sind der Meinung, die Volkskirche in der heutigen Zeit ist etwas anderes, als die in der Zeit des Herzog Christoph. Die Volkskirche hat heute eine ganz große missionarische und diakonische Aufgabe an unserem Volk. Es ist die Verpflichtung, unser ganzes Volk, jedermann, den wir erreichen können und der nicht durch Anschluß an die katholische Kirche oder an irgendeine ganz andere Religions- ­oder Weltanschauungsgemeinschaft sozusagen sich schon von uns verabschiedet hat, also jedermann vor die Frage zu stellen, ob er sich nicht mit uns um Christus scharen will. Das können wir nicht mehr machen mit ein paar Pfarrern und mit einem Oberkirchenrat und ein paar Dekanatämtern, sondern das machen wir nur, wenn wir viele, viele Glieder unserer Volkskirche, die auf Jesus Christus getauft sind, zu bewußten Christen erziehen, wenn wir sie auf ihre Kirchenzugehörigkeit ansprechen, die gegeben ist damit, daß sie als Kinder getauft sind und, liebe Brüder, es ist eine schwere Verantwortung, heute die Kindertaufe zu vertreten. Ich vertrete sie. Aber ich vertrete sie mit dem, was dazu gehört, mit der Verpflichtung, dieses Getauftsein ernst zu nehmen und die Glieder der Volkskirche, diese Glieder, die als Kinder getauften Volkskirchenglieder, auf ihre Kirchenzugehörigkeit unmittelbar fortgesetzt anzu­sprechen. Sie mögen selbst zur Kirche stehen, wie sie wollen; ich nehme sie als Glieder der Kirche. Es geht mir dabei nicht um die Kirchensteuer in erster Linie. Das ist das Furchtbare, daß uns dies jetzt vorgeworfen wird, wie wenn wir meinten, mit der Kirchensteuer diese Lage retten zu können. Es geht mir darum, daß ich in unmittelbarer Verbindung mit den Gliedern der Kirche bleibe auch in dieser Frage, daß die Bitte um die Entrichtung des Beitrags zu der Kirche an die, die zur Volkskirche gehören, von der Kirche selbst an den Mann und die Frau herangetragen wird, und daß der Kirchensteuerpflichtige, wenn er etwas zu bemerken hat dazu, mit der Kirche in Berührung kommt.

Sehen Sie, ich komme sonst auch nicht durch bei meinem anderen Dienst; einmal werde ich vor die Arbeiter gestellt, das andere Mal vor Bauern, das dritte Mal vor Fabrikanten. Da lade ich Glieder der evangelischen Kirche ein und nehme sie als Glieder der evangelischen Kirche. Es könnte nämlich sonst dahin kommen, daß wir wohl einmal das Geld haben, aber nicht die Menschen, die mit diesem Geld dem Evangelium dienen. Und mit dieser Erziehung zu einem bewußten, persönlichen, aktiven Christentum hat auch unser Kirchensteuersystem etwas zu tun, das seit 1924 in der Württ. Landeskirche, jetzt genau 30 Jahre lang, besteht. Und um dieses auch geht es mir. Es ist schwierig, auf einem Gebiet das aufzugeben und auf den anderen Gebieten es vorwärtszutreiben. Und ich möchte bitten, daß der ganze Krampf retten wollten, und daß Sie mit mir helfen, daß möglichst viele mit uns die Dinge in diesen Zusammenhängen sehen.

Es ist nun freilich eine ganz gewaltige Erschwerung, daß wir mit diesem Aspekt allein dastehen unter den westdeutschen Landeskirchen und ich bin der letzte, der sich als württembergischer Christ deshalb irgendwie aufspielen wollte. Das ist mir gründlich vergangen. Das wird niemand weniger tun als der württembergische Landesbischof. Aber ich komme nicht darum herum, daß es mir nicht wohl dabei ist, daß die übrigen westdeutschen Landeskirchen zunächst im Jahr 1948 gesagt haben, der Währungsschnitt zwinge sie zu dieser ‚Notmaßnahme‘ des Lohnsteuerabzugs, und daß er heute nicht mehr als Notmaßnahme bezeichnet wird, sondern als die eigentlich für eine Volkskirche normale Lösung. Hievon bin ich noch nicht überzeugt. Ich weiß auch, daß die Lage in anderen Landeskirchen nicht ganz so einfach ist, wie das gelegentlich aussieht, übrigens einschließlich der katholischen Kirche in Württemberg. Ich habe die Entstehung der neuen Lösung ganz bewußt und persönlich miterlebt.

Volkskirche heute braucht Erziehung zum bewußten Christentum oder wenn man das nicht will, Abschied von der Volkskirche. Um die Arbeit geht’s, nicht ums Geld. Ich suche Euch und nicht das Eure. Das glaube ich mit gutem Herzen sagen zu können, freilich auch das Eurige dazu. Jawohl! Und ich würde wünschen, daß unsere Kirchen­pfleger und unsere Pfarrer und unser Oberkirchenrat auch vom Landeskirchentag einmal wieder den Mut gestärkt bekommen, so als Kirche vor ihre Glieder zu treten. Denn sonst kommen wir aus dem Nebel dieses bloßen Mitläufertums auch im 20. Jahrhundert nicht heraus. Und sonst kriegen die Freikirchen und die Neu­apostolischen eine neue Waffe gegen uns in die Hand, weil das nicht Volkskirche ist, sondern so ein bißchen allgemeine Volksbeeinflussung durch einen kirchlichen Apparat, wobei man bei den Amtsträgern voraussetzt, daß sie zur Sache stehen.

Glauben Sie nicht, daß ich nun Ihre Entscheidung hinterher korrigieren will. Aber ich möchte das Zerrbild korrigieren, das vom Landesbischof und von der württem­bergischen Kirchenleitung entworfen worden ist in den Debatten um die Kirchen­steuer im Land draußen. Es geht uns um etwas ganz anderes, als um die Erhaltung dieses etwas beschwerlichen Systems, von dem wir gar nicht überzeugt sind, daß es schon des Rätsels Lösung wäre. Aber es ist vielleicht der Start zu einer Weiter­entwicklung im Sinne der richtigen Autonomie der Kirche bis in ihre Ordnung hinein, während das andere vielleicht ein Schrittlein zurück ist. Ich habe noch nie gesagt, das eine sei die gläubige und das andere die ungläubige Lösung. Ich widerspreche auch dem, soweit das hier gesagt worden ist. Aber es gibt eine Kirchenleitung, die auch die Dinge der Ordnung in diesem Zusammenhang sieht, und zu der möchte ich gehören. Deshalb bitte ich, daß Sie das Ihrige tun, daß die Debatte um die Kirchen­steuer, die nun also weitergeht, weil wir die Entscheidung vertagt haben, ein bißchen in diese Linie kommt und aus der bloßen Frage, wie das Geld am besten eingeht, herauskommt, und daß ganz klar ist, es wäre auch gar nichts damit geschafft gewesen, wenn wir 100-prozentig beschlossen hätten, wir bleiben beim alten System und nicht miteinander auf allen Sparten sozusagen, in allen Gebieten die Kirchenzugehörigkeit ernst nehmen. Daß wir also einfach damit Schluß machen, daß jemand lebenslang völlig in der Unentschiedenheit bleiben kann, ob er nun eigentlich zur Kirche gehören will oder nicht.«

Quelle: Helmut Sigloch, Macht die Gemeinde stark. Landesbischof Martin Haug, Nürtingen: denkhaus Verlag 2017, S. 10-13.

Hier die Stellungnahmen Haugs als pdf.

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