Ist die neue Luther-Bibel 2017 wirklich zuverlässig und sprachlich eingängig?

Ist die neue Luther-Bibel 2017 wirklich zuverlässig und sprachlich eingängig?

Da hat die neue Luther-Bibel schon viel Lob eingeheimst. In der Tat ist sie typographisch gelungen (Bloklands „Documenta“ eine Wucht); Forssmans Buchgestaltung ist gewinnend; sie besitzt gutes Kartenmaterial und einen soliden Anhang, aber was inhaltlich vollmundig versprochen worden ist, wurde nicht wirklich gehalten: „Das Original – so zuverlässig wie nie! Vollständig überprüft und durchgehend auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Der Klassiker – jetzt noch prägnanter! Die vertraute und eingängige Luthersprache vielfach wiederhergestellt.“ Im Folgenden seien dazu einige Beispiele unsystematisch angeführt:

  1. David (1Sam 16,12) ist immer noch bräunlich, obwohl das hebräische Adjektiv admoni wie bei Esau (1Mose 25,25) „rötlich“ heißen muss.
  2. David spielt immer noch die Harfe (1Sam 16,16.23), obwohl kinnôr ein Lauteninstrument ist.
  3. Im Himmel spielt man ebenfalls (keltische) Harfe (Offb 5,8; vgl. Offb 14,2; 15,2), obwohl kithara (naheliegend) die Gitarre ist.
  4. In Mk 1,14 wird Johannes der Täufer – im Unterschied zu Luther 1984 – nicht gefangengesetzt (anders hingegen in Mt 4,12), sondern mit Luther „überantwortet“, was semantisch falsch (und für den Normalsterblichen unverständlich) ist. Johannes hat sich vor Herodes Agrippa eben nicht zu verantworten (wie Jesus vor dem Synedrium), sondern soll in der Kerkerhaft mundtot gemacht werden.
  5. In Ijob 5,17-18 ist Elifas vermeintlich fromme Redeweise fett gestellt (anders in Luther 1545), obwohl diese Rede in Ijob 42,7 von Gott selbst verurteilt worden ist.
  6. Der Klassiker „Tut Buße“ (Mk 1,15) ist Luthers wörtliche Übersetzung der Vulgata (poenitentiam agite) geschuldet, obwohl es ja sich ja um eine Umkehr in den Glauben handeln muss. Im heutigen Verständnis heißt „Buße tun“ genugtuende Werke zu verrichten (Geldbuße) und steht damit für Werkgerechtigkeit im Widerspruch zur Rechtfertigung allein aus Glauben.
  7. Das besserungsträfliche „Büßen“, das sich nicht in Luther 1545 findet, sondern erst 1964 eingetragen worden ist, ist in der Luther-Bibel 2017 bei drei der fünf Stellen (nicht mehr Jes 24,6 sowie Jer 31,19) beibehalten worden. In Sprüche 13,13 heißt es noch immer: „Wer das Wort verachtet, muss dafür büßen“, obwohl das hebräische chabal nichts mit „büßen“ im Sinne einer Besserungsstrafe zu tun hat und Luther 1545 „WEr das wort veracht / Der verderbet sich selbs“ sachlich richtig liegt (Zürcher: „Wer das Wort verachtet, erleidet Schaden“). Ähnlich steht in Sprüche 30,10 mit Luther 1964 noch immer „Verleumde nicht den Knecht bei seinem Herrn, dass er dir nicht fluche und du es büßen musst“ (Luther 1545 „Verrate den Knecht nicht gegen seinem Herrn / Er möcht dir fluchen / vnd du die schuld tragen müssest“), sowie in Sirach 23,24 [34] „Eine solche Frau wird man der Gemeinde vorführen, und ihre Kinder müssen’s büßen.“ (Luther 1545 „Diese wird man aus der Gemeine werffen / vnd jre Kinder müssen jr entgelten.“) Wo von einem sträflichen Büßen die Rede ist, widerspricht dies grundlegend der evangelischen Bußtheologie.
  8. In 2Kön 23,33 bzw. 2Chr 36,3 (Luther 2017/1984) legt der Pharao Necho dem Königtum Juda eine „Geldbuße“ von 100 Zentnern Silber und einem Zentner Gold auf, nachdem er König Joahas abgesetzt und deportiert hatte. Das klingt so, als wäre der Pharao im Auftrag der kommunalen Verkehrsüberwachung tätig gewesen. Luther 1545 weiß es besser, wenn das hebräische ʽonäsch mit „Schatzung“ im Sinne einer Tributzahlung (vgl. Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 18. Auflage 2013, 994) übersetzt wird. Ebenso ist in Esra 7,26 (Luther 2017) von einer „Geldbuße“ (Luther 1545: „Busse am gut“) die Rede, wo „Geldstrafe“ zu übersetzen wäre.
  9. Die Wendung „gastfrei zu sein“ (Hebr 13,2) ist für die meisten Menschen – auch innerhalb der Kirche – un- bzw. missverständlich („frei von Gästen im eigenen Haus“). Mit Bezug auf oben genannte Bibelstelle ist es ein Hapaxlegomenon in der deutschen Sprache geblieben. Außerdem entspricht „Gastfreundschaft“ zu üben (Röm 12,13) nicht der Herausforderung einer philoxenia. Dieses griechische Wort meint nämlich Fremdenliebe bzw. Fremdenfreundlichkeit und ist der Gegenbegriff zur Xenophobie. Im Unterschied zum unerwarteten Fremden bringt ja der geladene Gast bereits einen willkommensfähigen Status mit.
  10. Die Wendung „Gott der HERR“ – sie geht auf Martin Luther zurück – ist in den meisten Fällen als Fehlübersetzung von jhwh ’älohîm anzusehen, wird doch damit der Name zur Apposition degradiert (vgl. dazu meinen Aufsatz Namensgedächtnis statt Gottdenken). Korrekter wäre in jedem Fall die zugegebenermaßen frömmlerisch klingende Wendung „HERR Gott“. Es ist das besondere Verdienst der neuen Zürcher Übersetzung von 2007, die Fehlübersetzung im Deutschen korrigiert zu haben.
  11. Beim Missionsbefehl in Mt 28 heißt es nun in Vers 19: „Darum gehet hin und lehret alle Völker“. Dass mathēteuō nur noch „lehren“ bedeuten soll, will nicht einleuchten, sprechen doch die einschlägigen Wörterbücher und Kommentare eine andere Sprache. Jüngerschaft bedeutet eine verbindliche Lebensform und ist damit weit mehr als informative Belehrung. In Luther 1984 bzw. 1956 heißt es daher zu Recht: „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“.
  12. Die Einleitung zu Jesu Missionsbefehl in der neuen Luther-Bibel 2017 lautet immer noch: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ (Mt 28,18) Da sich die Bedeutung von „Gewalt“ in der Gegenwart eindeutig und unumkehrbar auf Gewalt im Sinne von violence, also einer beabsichtigten körperlichen Verletzung bzw. Tötung anderer Menschen oder aber deren erzwungene Vereinnahmung  hin verengt hat, muss der Eindruck entstehen, Jesus Christus legitimiere bzw. vollziehe verletzende Gewalt, um sein Reich durchzusetzen.
  13. Auch in der neuen Luther-Bibel 2017 heißt es eingangs des Prologs im Evangelium nach Johannes: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ (Joh 1,1) Dieser Vers muss irritieren: Wie kann man mit jemandem zusammen sein, wenn man derselbe ist – das Wort mit Gott und zugleich Gott. Die Ursache für diese Konfusion ist schlicht die Auslassung des bestimmten Artikels in der deutschen Übersetzung. Dem griechischen Original zufolge muss die korrekte Übersetzung wie folgt lauten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei dem Gott, und das Wort war Gott.
  14. In Psalm 68,20 wird Luthers Fehlübersetzung immer noch wiedergegeben: „Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. (GElobet sey der HERR teglich / Gott legt vns eine Last auff / Aber er hilfft vns auch)“ Richtig übersetzt die Zürcher Bibel: „Gepriesen sei der Herr Tag für Tag, der uns trägt, der Gott, der unsere Hilfe ist.
  15. In 4Mose 21,8 heißt es mit Bezug auf Luther 1545 immer noch: „Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange …“. Das hebräische Wort saraf steht für eine besondere Schlangenart (Serafim!), nicht jedoch für eine eherne/kupferne/bronzene Schlangennachbildung, von der in den nachfolgenden Versen 9 und 10 die Rede ist.
  16. Die Luther-Bibel 2017 übersetzt im Neuen Testament das griechische Wort hádēs weiterhin mit „Hölle“ bzw. kehrt in Offenbarung 20,13f zu dieser Übersetzung zurück. Damit wird nicht zwischen hádēs (lat. inferus bzw. infernum) als Unter- bzw. Totenwelt (z.B. in Apg 2,27.31) und géhenna (lat. gehenna) als Strafort (z.B. in Mt 5,29f) differenziert. Wenn jedoch gegenwärtig – egal ob in der Kirche oder in der Gesellschaft – von „Hölle“ die Rede ist, sind damit untrennbar Vorstellungen von Strafe bzw. leiblichen Qualen verbunden. Folgt man der Übersetzung der Luther-Bibel 2017, müsste man verstorbenen Menschen an Stelle einer Totenruhe (bis zum Jüngsten Gericht) allgemein postmortale Höllenqualen ankündigen.
  17. Die Luther-Bibel 2017 gibt in den Prophetenbüchern die hebräische Wendung „’ădonāj JHWH“ einheitlich mit „Gott der HERR“ wieder, obwohl im Hebräischen von „Gott“ gar keine Rede ist. Luther 1545 gibt „’ădonāj JHWH“ mit „HErr HERR“ wieder und liegt damit richtig.
  18. In Jeremia 13,23 heißt es noch immer „Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln“, obwohl das hebräische „Kuschi“ einen Angehörigen der Ethnie der Kuschiter (Nubier/Äthiopier) bezeichnet.
  19. Im Lobgesang des Simeons (Lk 2,29-32) heißt es im Anschluss an Luther 1545 immer noch „denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“, obwohl im griechischen Text nicht von einem sōtēr („Heiland, Erretter“), sondern neutrisch von „Heil“ bzw. „Rettung“ (to sōtērion) die Rede, was die anderen deutschprachigen Übersetzungen korrekt wiedergeben, so beispielsweise die revidierte Einheitsübersetzung „denn meine Augen haben das Heil gesehen“ (Lk 2,30).
  20. In Hesekiel 37,1-14 wird die ruach – entgegen der Septuaginta bzw. der Vulgata – nicht konkordant mit „Geist“, sondern als Odem, Geist und Wind wiedergegeben.
  21. In der Lutherbibel 1545 ist weder von menschlichen noch von göttlichen Plänen die Rede. Anders jedoch die neue Luther-Bibel 2017: Dort ist – im Anschluss an die Luther-Bibel 1964 – in Jesaja 53,10 im Hinblick auf die Lebenshingabe des Gottesknechtes von „des HERRN Plan“ die Rede, obwohl Luther selbst wie folgt übersetzt hat: „vnd des HERRN Fürnemen wird durch seine Hand fort gehen.“ In der Luther-Bibel 1912 heißt es entsprechend: „und des HERRN Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen.“ Auch in der Einheitsübersetzung 2017 („was Gott gefällt, wird durch seine Hand gelingen“) wie auch die Zürcher Bibel 2007 („die Sache des HERRN wird Erfolg haben durch ihn“) ist von einem göttlichen Plan keine Rede.
  22. In Johannes 1,10 wird im Rückgriff auf Luther 1545 sprachlich falsch ein neutrisches Satzsubjekt eingeführtEs war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht“, womit irrigerweise eine Schöpfungsmittlerschaft des Lichtes ausgesagt wird.
  23. In Psalm 90,3 ist in der Luther-Bibel 1545/2017 irrtümlicherweise von einem göttlichen Sterbenlassen bzw. von einem göttlichen Rückruf ins irdische Leben die Rede.
  24. In der Luther-Bibel 1545/2017 wird Jeremia 15,19 wie folgt wiedergegeben: „Der HERR spricht: Wenn du dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten.“ Korrekt heißt es in der Einheitsübersetzung: „Darum – so spricht der HERR: Wenn du umkehrst, lasse ich dich umkehren und wieder vor mir stehen.“ Ähnlich die Zürcher Bibel: „Darum, so spricht der HERR: Wenn du umkehrst, lasse ich dich wieder vor mir stehen.“ Was die Luther-Übersetzung klar verfehlt, ist der Aspekt der göttlich eingeforderten menschlichen Umkehr, die ihre Entsprechung in der göttlichen Zuwendung auf eine persönliche Begegnung hin findet.
  25. In der Luther-Bibel 1545/2017 wird ein Zu-Tisch-Liegen (anákeimai bzw. anapíptō) als Zu-Tisch-Sitzen übersetzt, so z.B. Mt 26,20; Mk 14,18 bzw. Lk 22,14, obwohl das Zu-Tisch-Sitzen erst seit dem 15. Jahrhundert in Europa Sitte ist. Auch die neue Zürcher Bibel von 2007 folgt Luther, während die Einheitsübersetzung zur Recht von einem Gelage spricht.
  26. Ohne Anhalt an Luthers eigener Übersetzung bzw. an anderen deutschsprachigen Übersetzungen (auch nicht Luther 1984) heißt es in Matthäus 18,6: „Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt , …“ (statt Ärgernis geben bzw. zu Fall bringen). Was für eine fatale Missdeutung: Der Täter macht in seiner Übergriffigkeit Schutzbefohlene selbst zu „Bösewichte“ und hüllt damit die Betroffenen bzw. Opfer in das Verschweigen eines angeblich gemeinsamen Bösen ein.
  27. Die Luther-Bibel 2017 gibt hypotássō in 1.Korinther 15,27f mit drei verschiedenen Verben wieder: „Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott sei alles in allem.“ Damit folgt sie jedoch nicht Luther 1545, wo (fast) konkordant hypotássō mit untertan sein übersetzt wird: „Denn er hat jm alles vnter seine Füsse gethan. Wenn er aber saget / das es alles vnterthan sey / ists offenbar / das ausgenomen ist / der jm alles vnterthan hat. Wenn aber alles jm vnterthan sein wird / als denn wird auch der Son selbs vnterthan sein / dem / der jm alles vnterthan hat / Auff das Gott sey alles in allen“.
  28. In Johannes 13,2 wird kai deipnou ginomenou mit „nach dem Abendessen“ mit Luther 1545 übersetzt, obwohl es korrekt heißen müsste „während eines Mahls“. Damit ist außerdem der Anschluss in Vers 4 nicht mehr stimmig, wo Jesus von dem Mahl aufsteht.

Der Versuch einer redaktionellen Bearbeitung einer redaktionellen Bearbeitung einer redaktionell bearbeiteten Lutherübersetzung wird niemandem dauerhaft gerecht. Entweder das Original 1545 als Luther-Übersetzung orthographisch angepasst neu abdrucken oder noch einmal wirklich neu übersetzen. Ich bin skeptisch, dass sich diese „Luther-Bibel“ lange in der evangelischen Kirche und insbesondere im Gottesdienst halten wird.

Hier mein Text als pdf.